Mit der Heilkundeübertragungsrichtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) besteht die Möglichkeit, ärztliche Aufgaben im Rahmen von zunächst sogenannten Modellvorhaben auf qualifizierte Berufsangehörige der Kranken-und Altenpflege eigenverantwortlich zu übertragen.
Ist damit auch eine Ausübung als Heilpraktiker denkbar?
Heilkundeübertragungsrichtlinie: Arzt gibt Verantwortung ab
Die Richtlinie legt die Qualifikationsanforderungen für die jeweiligen Pflegekräfte im Rahmen des Modellvorhabens fest.

Die Heilkundeübertragungsrichtlinie gilt zudem nur für bestimmte heilkundliche Tätigkeiten bei ganz spezifischen Erkrankungsbildern.
Diese sind vor allem Diabetes mellitus, chronische Wunden, Demenz und Hypertonie.
Hierbei sind aber auch Tätigkeiten im Rahmen von diagnosebezogenen Versorgungskonzepten möglich.
Sonst gibt es auch bestimmte prozedurspezifische Tätigkeiten wie die Flüssigkeitszufuhr und die Blutentnahme.
Die Richtlinie selbst dokumentiert jedoch nicht, wie die Übertragung der Tätigkeiten vom Arzt auf die jeweilige Pflegekraft im Einzelnen erfolgen muss.
Heilkundeübertragungsrichtlinie: Heilpraktiker durch die Hintertür? – Pflege Liebe Zeitschrift
Lediglich wird durch die Richtlinie festgelegt, dass der Arzt die jeweilige Diagnose und Indikationen in dokumentierter Form dem Pflegepersonal mitteilen muss.
Es ist somit möglich, sowohl eine ärztliche Überweisung wie auch eine ärztliche Verordnung im Rahmen des Modellvorhabens durch den Arzt auszustellen.
Heilkundeübertragungsrichtlinie: Gesetzliche Grundlagen
Das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz aus dem Jahr 2008 bedingt die Richtlinie zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Angehörige der Pflegeberufe gemäß den Regelungen des § 63 Abs. 3 c SGB V.
Die Richtlinie ermöglicht den Pflegekräften eine eigenständige Heil-und Hilfsmittelverordnung sowie die Möglichkeit, Patienten selbstständig überweisen zu können.
Die entsprechenden Regelungen finden sich auch in den §§ 1 Abs. 2 Satz 2 und § 4 Abs. 7 des Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege (KrPflG) vom 16. Juli 2003.
In § 1 Abs. 2 Satz 2 heißt es wörtlich, dass „Personen mit einer Erlaubnis nach Satz 1, die über eine Ausbildung nach § 4 Abs. 7 verfügen, im Rahmen der ihnen in dieser Ausbildung vermittelten erweiterten Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten berechtigt sind“.
Während für aktuelle Auszubildende in Abs. 7 dargelegt wird, welche speziellen zusätzlichen vermittelten Qualifikationen im Rahmen der Ausbildung erworben werden müssen, um die Erlaubnis im Rahmen eines derartigen Modellversuchs zu erhalten, legt der § 4 Abs. 8 fest, dass der Abs. 7 entsprechend für Personen gilt, „die bereits zur Führung der Berufsbezeichnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 berechtigt sind“.
Dieser Absatz lässt sich dahin gehend auslegen, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Personen, die bereits über die Ausbildung und die dementsprechend staatliche Anerkennung verfügen, die entsprechende Ausbildung zumindest dem Grunde nach ebenfalls besitzen.
Welche Anforderungen an die Pflegekraft werden gestellt?
Die Heilkundeübertragungsrichtlinie selbst legt fest, welche Kenntnisse die Pflegekraft im einzelnen besitzen muss, um die entsprechenden Tätigkeiten selbstständig ausführen zu können.
Grundsätzlich darf davon ausgegangen werden, dass im Einzelfall der Arzt voraussetzen kann, dass die Pflegekraft über die entsprechende Qualifikation verfügt.
Die Heilkundeübertragungsrichtlinie selbst legt nämlich nicht fest, dass die Pflegekraft einen entsprechenden Nachweis über die entsprechenden Kenntnisse beispielsweise durch eine Prüfung erbringen muss.
Die bloße Aussage „das habe ich in der Ausbildung gehabt, das kann ich“ dürfte zumindest nach dem derzeitigen Stand der Dinge demnach ausreichen.
Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Abs. 7 festgelegt, dass die staatliche Prüfung sich auch auf die mit der zusätzlichen Ausbildung erworbenen erweiterten Kompetenzen zu erstrecken hat.
Aus der Richtlinie geht ebenso wenig hervor wie aus dem Krankenpflegegesetz, das diese zusätzlich erworbenen Kompetenzen im Rahmen der staatlichen Anerkennung zusätzlich dokumentiert werden müssen.
Gesetzeslücke als Chance für die Pflegekräfte
Das bedeutet, hier ergibt sich zumindest theoretisch eine Gesetzeslücke.
Da in Kliniken vorzugsweise die Modellvorhaben nach der Heilkundeübertragungsrichtlinie durchgeführt werden, gibt es hier aber eine entsprechende Verantwortlichkeit durch die vorgesetzten Pflegekräfte (Bereichsleitung, PDL).
Das bedeutet, hier dürften ausschließlich nur Angehörige mit einer Zusatzausbildung wie beispielsweise Anästhesie- beziehungsweise Intensivfachausbildung für die entsprechenden Tätigkeiten infrage kommen.
Im Rahmen der ambulanten Versorgung jedoch gibt es diese Anforderungen zumindest dem Grunde nach laut Gesetzestext nicht.
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Ausübung der Heilkunde nach dem Heilpraktikergesetz möglich?
Da der Modellversuch zudem derzeit nur als zeitlich befristet gilt, und eine Ausweitung grundsätzlicher Natur daher möglich ist, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die hier zitierten gesetzlichen Regelungen demnach grundsätzlich auch eine besondere Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz (HPG) zulässt?
Nach dem Heilpraktikergesetz gilt als „Ausübung der Heilkunde“ jede „gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder körperlichen Schäden bei Menschen“.
Die Regelung umfasst es also jede berufliche Tätigkeit, die die Diagnose, Behandlung und Therapie zulässt.
Die Heilkundeübertragungsrichtlinie setzt eine ärztliche Diagnose und Indikationsstellung voraus.
Das bedeutet, dass eine eigenständige Diagnose durch die Pflegekräfte damit grundsätzlich ausgeschlossen ist.
Da jedoch nach dem Heilpraktikergesetz auch alle Tätigkeiten, die zur Heilung oder Linderung von Krankheiten im Sinne einer Behandlung umfasst sind, lässt sich daraus indirekt ableiten, dass Pflegekräfte mit der entsprechenden Genehmigung im Rahmen der Modellvorhaben auch grundsätzlich beanspruchen können, eine Sondererlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz für die im Rahmen der Heilkundeübertragungsrichtlinie geltenden Krankheiten und entsprechenden Behandlungen zu erhalten.
Modell-und Musterklagen denkbar
Eine Ablehnung seitens des Gesundheitsamtes würde demnach vor Gericht durchaus Erfolgschancen für die beantragende Pflegekraft bedeuten.
Denn Tätigkeiten, die von der Pflegekraft nach dem Heilpraktikergesetz beantragt würden, unterscheiden sich in keiner Art und Weise von denen, die dieselbe Pflegekraft im Rahmen der Heilkundeübertragungsrichtlinie ausführen würde.
Eine Ablehnung ließe sich seitens des Gesundheitsamtes auch schwer begründen, da die Pflegekraft nach dem Modellversuch als kompetent angesehen wird, die Tätigkeiten eigenverantwortlich auszuüben, im Rahmen einer Heilpraktikererlaubnis (die nur für dieselben Tätigkeiten gelten würde) wäre die Pflegekraft demnach aber nicht qualifiziert, die Tätigkeiten auszuführen.
Dies wäre ein juristischer Zirkelschluss.
Der Unterschied zu den Tätigkeiten der Heilkundeübertragungsrichtlinie wäre jedoch der, dass die Pflegekraft auf selbstständiger Basis, also freiberuflich arbeiten könnte.
Vorbild für eine derartige Genehmigung könnte der so genannte sektorale Heilpraktiker sein, der derzeit für Physiotherapeuten gilt.
Auch wenn der Gesetzgeber offenbar in keiner Art und Weise vorhatte, eine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz für Pflegekräfte zu ermöglichen, lässt sich jedoch zumindest indirekt gemäß den Regelungen der Heilkundeübertragungsrichtlinie für bereits nach Maßgabe der Modellprojekte tätige Pflegende eine, zumindest im Rahmen derselben Tätigkeiten, gültige Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz ableiten.
Es darf daher gespannt abgewartet werden, bis die ersten Muster- und Modellklagen vor den ordentlichen Gerichten verhandelt werden.
Welche Erfahrung haben Sie in ihrem Berufsalltag mit der Heilkundeübertragungsrichtlinie gemacht? – Wir freuen uns sehr auf Ihre Zuschriften per eMail an Post@Pflege-Liebe.de.
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